Giordano-Bruno-Stiftung fordert Erweiterung von Artikel 20 des Grundgesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in den 1960er Jahren darauf hingewiesen, dass der Staat nur dann eine „Heimstatt aller Bürger“ sein kann, wenn er das Gebot der weltanschaulichen Neutralität beachtet. Deshalb fordert die Giordano-Bruno-Stiftung eine entsprechende Klarstellung in Artikel 20 des Grundgesetzes. Demnach sollen in dem Artikel künftig nicht nur die Prinzipien der Demokratie, des Sozialstaatsprinzips und des Föderalismus Erwähnung finden, sondern auch das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates.
„Nur ein Staat, der niemanden aufgrund seiner religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauung privilegiert oder diskriminiert, kann die Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger und somit die Einhaltung der Menschenrechte garantieren“, erläutert Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. „Wir können uns glücklich schätzen, dass das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates in der deutschen Verfassung so fest verankert ist, beispielsweise in den Artikeln 1 bis 4 sowie in Artikel 140 des Grundgesetzes. Bedauerlicherweise aber wird dieses Neutralitätsgebot im Verfassungstext bislang nicht explizit erwähnt, was zur Folge hat, dass es trotz seiner fundamentalen Bedeutung für den Rechtsstaat oft übersehen wird.“
Aus diesem Grund fordert die Giordano-Bruno-Stiftung, Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes entsprechend zu ergänzen. Statt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ soll es nach dem Vorschlag der Stiftung heißen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer, sozialer und weltanschaulich neutraler Bundesstaat“. „Eine solche Erweiterung des Wortlauts von Artikel 20 würde nichts an der inhaltlichen Ausrichtung des Grundgesetzes ändern, aber sie könnte vielleicht verhindern, dass Politikerinnen und Politiker weiterhin Gesetze beschließen, die durch die Privilegierung religiöser Glaubensvorstellungen gegen das Neutralitätsgebot verstoßen“, sagt Schmidt-Salomon, der in diesem Zusammenhang u.a. auf die deutsche Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218–219a StGB) sowie zur Sterbehilfe (§217 StGB) hinweist.
Der Staat darf „sozial“, aber nicht „christlich“ sein
Wie sehr das Neutralitätsgebot im politischen Alltag missachtet wird, belegt eine im Februar 2019 gehaltene Rede von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zur Künstlichen Intelligenz. Dort heißt es: „Wir lassen uns von unserem christlichen Menschenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich dahinter einzureihen.“ Nachdem die heute-show über diesen Missgriff der Bildungsministerin gespottet hatte, versuchte FAZ-Redakteur Thomas Thiele die umstrittene Aussage der Ministerin damit zu rechtfertigen, dass Karliczek nun einmal Vertreterin einer „C-Partei“ sei und man es „einer sozialdemokratischen Bildungsministerin schließlich auch nicht übelgenommen [hätte], wenn diese angekündigt hätte, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz sozial zu gestalten“.
Auch wenn dieses Argument im ersten Moment plausibel klingen möge, verstoße es diametral gegen die Vorgaben der Verfassung, führt Michael Schmidt-Salomon aus: „Allem Anschein nach war dem FAZ-Redakteur gar nicht bewusst, dass die Bundesrepublik Deutschland zwar ein sozialer, aber kein christlicher Bundesstaat ist. Deshalb können staatliche Regelungen zwar bestens mit dem Sozialstaatsprinzip, niemals aber mit dem Christentum begründet werden! Wir begegnen diesem Irrtum leider häufig in der Politik, der Justiz und den Medien. Deshalb scheint es uns geboten zu sein, dem bislang nur implizit in der Verfassung verankerten Gebot der weltanschaulichen Neutralität durch eine explizite Erwähnung in Artikel 20 des Grundgesetzes die Bedeutung zu verschaffen, die es verdient. Denn: Nur ein Staat, der als Unparteiischer auf dem Spielfeld der Religionen und Weltanschauungen auftritt, ein Staat also, der niemanden bevorteilt oder benachteiligt, besitzt die erforderliche Glaubwürdigkeit, um die für alle geltenden Spielregeln durchzusetzen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Wer nicht will, dass sich Muslime über Grundrechte hinwegsetzen, darf es auch Christen nicht erlauben.“
Grundgesetz und Säkulare Buskampagne
Den meisten Menschen, so Schmidt-Salomon, sei das Gebot der weltanschaulichen Neutralität überhaupt nicht bekannt, geschweige denn, dass sie wüssten, wie wichtig es sei, um die Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Dies hätten viele Gespräche im Rahmen der Säkularen Buskampagne gezeigt, die in diesen Tagen durch Deutschland tourt, um für die konsequente Trennung von Staat und Religion zu werben. Am 22. Mai wird die Kampagne in Karlsruhe Halt machen, um am Ort des Bundesverfassungsgerichts in den 70. Geburtstag des Grundgesetzes hinein zu feiern.
Dass die Buskampagne am Mittwoch zeitgleich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Karlsruhe verweilen wird, ist natürlich kein Zufall. Denn das Verfassungsjubiläum war ein entscheidender Grund dafür, die Säkulare Buskampagne im Mai 2019 überhaupt durchzuführen, wie Stiftungssprecher Michael Schmidt-Salomon verrät: „Deutschland hatte 1949 das Glück, wesentliche Teile der 1948 verabschiedeten UN-Menschenrechtserklärung in seine Verfassung aufnehmen zu können. Das deutsche Grundgesetz war daher nicht bloß seiner Zeit voraus, es ist selbst unserer Zeit noch voraus! Tatsächlich hinkt das Staatsverständnis nicht weniger Vertreterinnen und Vertreter der Politik, der Justiz und der Medien der Verfassung noch immer hoffnungslos hinterher, vor allem im Hinblick auf die Durchsetzung der Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung. Auf diesem Gebiet ist also noch immer viel Aufklärungsarbeit zu leisten – und dazu möchten wir mit der Säkularen Buskampagne einen kleinen, bescheidenen Beitrag leisten …“